Die Logis Suisse AG ist eine überfliegende Pionierin im gemeinnützigen Wohnungsbau. Sie hält, was sie vor 50 Jahren versprochen hat: Sie fördert den gemeinnützigen Wohnungsbau und sie entzieht dabei Land und Wohnungen der Spekulation. Dazwischen liegen zwei grosse Krisen, von denen eine ihr fast die Existenz gekostet hat.
Es wird gebaut wie nie zuvor. Trotz Boom herrscht Wohnungsnot und Mietzinsnot. Ein Segment bleibt am Rand: der gemeinnützige Wohnungsbau. Die Initiative «Recht auf Wohnung» verwirft das Volk 1970 knapp. Die Volksabstimmung vom 5. März 1972 schlägt den wohnpolitischen Pflock ein. Die sogenannte «DennerInitiative» fordert einen kompliziert gespiesenen Wohnbaufonds. Sie wird abgelehnt. Dafür kommt der bundesrätliche Gegenvorschlag zum Zug: Die Wohnbauförderung wird in die Verfassung geschrieben und zum landesweiten Auftrag des Bundes.
Potent, handlungsfähig, unternehmerisch:
die Logis Suisse SA
Der neue Verfassungsartikel beflügelt zur Tat, noch bevor das Parlament die Gesetzesbestimmungen erlassen hat. Das Credo: Kleine und kleinste Baugenossenschaften können verlorene Marktanteile nicht zurückgewinnen. Es braucht eine unternehmerisch tätige Organisation und rasche Entscheide, keine neue Wohnbaugenossenschaft, sondern eine gemeinnützige Aktiengesellschaft: die Logis Suisse SA. Das mehrsprachig verständliche Label zeigt Anspruch auf einen Wirkungskreis in allen Landesteilen.
Das Bild zeigt den Moment der öffentlichen Beurkundung durch Dr. Ludwig Meyer, Notar des Kantons Bern. Er wird assistiert von Karl Zürcher, Zentralsekretär des Schweizerischen Verbandes für Wohnungswesen.
30. April 1973: die Gründung
Spitzenleute der genossenschaftlich-gewerkschaftlichen Schweiz, Vertretende der meisten Kantonalbanken, aus der Coop Schweiz und ihr angeschlossenen Genossenschaften, gründen am 30. April 1973 im Kursaal Bern die Logis Suisse SA. Die treibenden Kräfte: Eduard Leemann, Hauptdirektor der Genossenschaftlichen Zentralbank, Basel, wird Präsident. Adolf Maurer, Stadtrat von Zürich und Präsident von Wohnbaugenossenschaften Schweiz, wird Vizepräsident. Das Ziel: Haus und Boden der Spekulation entziehen. Es braucht «ein Optimum an unternehmerischer Beweglichkeit und Schlagkraft». Und: «Die Gesellschaft will in erster Linie bauen, und zwar preisgünstig bauen», überall dort, wo es die Kräfte der Baugenossenschaften übersteigt. Also im grossen Format.
Am 1. Januar 1975 tritt das Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz (WEG) in Kraft
Der Bund kann fortan die Tätigkeit gemeinnütziger Wohnbauträger durch Gewährung von Bürgschaften und Darlehen sowie durch Kapitalbeteiligung fördern, die Anfangsmietzinse verbilligen und für besonders Benachteiligte À-fonds-perdu-Beiträge sprechen und das Eigentum fördern. Die Logis Suisse AG wurde gegründet, um diese Förderinstrumente auch zu nutzen.
Auf den Ölschock folgt die Weltwirtschaftskrise
Die grösste Dachorganisation der Gemeinnützigen, der Schweizerische Verband für Wohnungswesen (heute Wohnbaugenossenschaften Schweiz), vertritt 1973 80'000 Wohnungen. Im gleichen Jahr werden schweizweit rund 82'000 Neubauwohnungen erstellt. Es ist das höchste bisher in der Schweiz je produzierte Volumen. Im Oktober 1973 siegt Israel im Jom-Kippur-Krieg. Die OPEC-Staaten greifen zur «Ölwaffe» und drosseln die Ölproduktion. Sie lösen damit eine Weltwirtschaftskrise aus.
1975 stehen in der Schweiz gut 50'000 Wohnungen leer. Der Traum vom neu Bauen ist vorbei. Die Logis Suisse SA koordiniert stattdessen das bisher grösste und erst noch gemeinnützige Wohnbauvorhaben in der Stadt Zürich im peripheren Westen, in der Grünau. Die Aktiengesellschaft schlägt sich mit Buchhaltung und Dienstleistungen durch. Sie muss sogar das eben erworbene Land in Widen auf dem Mutschellen im Aargau verkaufen.
Chance 1977: Übernahme von 600 Wohnungen in Neuenhof und Spreitenbach
Der Coup: Die Logis Suisse SA kommt durch Fusion mit der Josef Peterhans AG in den Besitz von deren Liegenschaftenportfolio. Sie kann 600 Wohnungen in Neuenhof und Spreitenbach der Spekulation entziehen. Josef Peterhans seinerseits kann in einem einzigen Akt seine Liegenschaften aus den 1950er- und 1960er-Jahren veräussern. Die Liegenschaften sind allerdings fast bis unter das Dach belehnt und der Reinertrag aus Mietzinseinnahmen ist bescheiden. Die Steuerfolgen der Fusion sind erst zwei Jahrzehnte später bereinigt. Die neu ins Portfolio erworbenen 600 Wohnungen sind Anlass zur Gründung der ersten Tochtergesellschaft 1977 im Aargau. Das Mutterhaus wird zur Holding.
Die Logis Suisse SA wird national verankerte Holding und erwirbt 720 Wohnungen
Die Logis Suisse SA setzt auf eine föderalistische Struktur und gründet zwischen 1977 und 1991 insgesamt 9 Tochtergesellschaften in allen Landesteilen vom Bodensee bis zum Genfersee und südlich der Alpen. Neben subventionierten hält sie im Portfolio freitragende Wohnungen ohne Kostenmiete, aber selbsterklärt im zinsgünstigen Bereich, Wohnungen im selbstgenutzten Eigentum und im Baurecht. 1983 übernimmt die Logis Suisse SA aus dem Anlagefonds der Kantonalbanken «IFCA 1973» auf einen Schlag weitere 720 Wohnungen.
Wohl und Leid der Bundeshilfen
Die Logis Suisse SA nutzt konsequent die Bundeshilfen, zum Beispiel die hohe Belehnung eines Bauprojekts mit Bundesbürgschaften bis 95 Prozent. Ein 20 Millionen Franken schweres Bauprojekt lässt sich damit, gebunden an happige Auflagen, mit Eigenmitteln von 1 Million Franken realisieren. Die Bundeshilfe mit rückzahlbaren Vorschüssen (WEG) setzt den Hebel bei den Mietzinsen an. Die Anfangsmietzinse im subventionierten Wohnungsbau sind vergünstigt, doch müssen die Darlehen in 25 bis 30 Jahren zurückbezahlt sein. Das Rückzahlungssystem bei vom Bund verbilligten Wohnungen basiert auf dem erwartbaren realen Wirtschaftswachstum. Bei einem Einbruch in den Liegenschaftenmarkt wie in den 1990er-Jahren konkurrieren die teuren Anfangsmieten von hochpreisig erstellten oder erworbenen Wohnungen mit günstigeren Mietzinsen auf dem Markt. Es kommt zu leerstandsbedingten Mietzinsabschlägen und Ertragsausfällen und bei geringem Eigenkapital oft unvermutet zu Insolvenz.
Die Bodenpreise kennen nur eine Richtung: nach oben
In den 1980er-Jahren beginnt die wundersame Wertsteigerung des Bodens durch Spekulation. Es ist die Zeit der rasanten Handänderungen, der Mietzinsaufschläge und der Handänderungsgewinne. 1989 erhöht die Schweizerische Nationalbank den Diskontsatz. Der Bund beschliesst dringliche Massnahmen gegen die Bodenspekulation: eine fünfjährige Sperrfrist für die Veräusserung von Bauland und Pfandbelastungsgrenzen für Immobilien.
Steigende Mietzinse bedrängen Mieter*innen! Spekulationsfreies Wohnen als Lösung
Die Zinssätze für neue variable Hypotheken steigen innert kurzer Zeit von 5 auf mehr als 8 Prozent. Frieda Wüest ist Mieterin bei der Rämi-Bau AG in Zürich und inzwischen 94 Jahre alt. Sie bezahlt für ihre 4-Zimmer-Wohnung am 1. März 1990 850 Franken und ab 1. April 1992 1'680 Franken, in zwei Jahren den doppelten Mietzins. Nun muss die Fürsorge einspringen. Umso dringlicher wird ein spekulationsfreies, sicheres Dach über dem Kopf.
Der grosse Fisch: mehr als 600 Wohnungen
Die Rämi-Bau-Wohnungen sind mit steigenden Hypothekarzinsen belastet. Das Imperium bekommt Risse. Die Rämi-Bau AG will verkaufen. Die Logis Suisse SA braucht für ihre Wachstumsziele einen grossen Fisch. Sie gründet 1990 mit der Logis Suisse Zürich SA eine Tochterfirma, die ein grösseres Liegenschaftenpaket der Rämi-Bau AG übernimmt. Die Mieter*innen von mehr als 600 Wohnungen können sich in der Folge über mehr Sicherheit und die meisten über eine Senkung der Mietzinse freuen. Die kurz entschlossene Logis Suisse SA hat allerdings, wie sich zeigen wird, zu rasch und zu teuer unter Zusicherungen des Bundesamts für Wohnungswesen nach WEG-Grundsätzen auf dem Gipfel der Hausse gekauft. Den bevorstehenden Umschlag zur Baisse kann sie nicht voraussehen. Auch weiss sie nicht, dass die Schweizer Banken und besonders die Grossbanken Kredite von 42,3 Milliarden Franken abgeschrieben haben. Das gibt die Eidgenössische Bankenkommission erst 1996 bekannt.
Zu kostspielig, zu personalintensiv
Der überteuerte Kauf, das WEG-System mit Ertragsausfällen, eigene Leerstände aus erworbenen, vernachlässigten Liegenschaften, ein rascher Mieterwechsel mit nachfolgend vermehrt nötigen Renovationen und hohe noch zu begleichende Schulden aus dem Rämi-Bau-Kauf stürzen die Logis Suisse SA in eine tiefe Existenzkrise. Ende 2000 rettet sie sich mit einem Kapitalschnitt aus der Misere. Noch sind Steuerlasten zu begleichen, Schulden abzutragen und im Aargau komplizierte Beteiligungen zu entflechten. Die föderalistische Struktur als Holding mit Tochtergesellschaften ist zu kostspielig und zu personalintensiv. Allein die rund 800 Wohnungen der Logis Suisse Zürich SA sind auf sieben Kantone und noch mehr Gemeinden zerstreut. Im Portfolio befinden sich Problemliegenschaften in desolaten Quartieren. Die Logis Suisse SA nutzt die Gunst der Stunde sinkender Hypothekarzinsen.
Die Logis Suisse erfindet sich neu
Die Logis Suisse Nordwestschweiz AG wechselt 2002 zur Wohnstadt Basel. Die Logis Suisse Romand und Ticino verselbständigen sich nach 2004. Die Logis Suisse SA konsolidiert die Jahresrechnungen der verbleibenden Tochterfirmen. Sie ist fortan nur noch in der deutschen Schweiz aktiv. Durch diese Ausgliederungen gehen 1'200 Wohnungen weg. Die Logis Suisse SA hält Ende 2005 2'824 Wohnungen. Die Logis Suisse SA Wohnbaugesellschaft gesamt schweizerischer Organisation hört als Holding auf zu existieren.
Gemeinnützige Wohnbaugesellschaft Logis Suisse AG
Die Logis Suisse AG gründet sich am 26. Juni 2006 neu als Logis Suisse AG/Gemeinnützige Wohnbaugesellschaft, welche die Förderung und Haltung preisgünstiger Wohnungen in der deutschen Schweiz bezweckt. Übernahm die frühere Logis Suisse SA vorwiegend bereits vorhandene Wohnungen aus bestehenden, teils gemeinnützigen Beständen, setzt die neue Logis Suisse AG vorerst auf innere Werte: möglichst wenig eigenes, fest angestelltes Personal, Einteilung in regionale Immobilienportfolios, Outsourcing der Immobilienverwaltung an professionelle regionale Verwaltungen, Reduktion des Verwaltungsrats auf sechs, später fünf Personen. Der Anlageausschuss besichtigt 90 Prozent aller Wohnungen. Es werden strategische Grundsätze formuliert, Bewertungen durchgeführt, weitere kleinere Liegenschaften an Rand und anderen schlechten Lagen verkauft, im niedrigen Zinsumfeld Hypotheken amortisiert. Die Logis Suisse AG packt grosse, wertvermehrende Sanierungen an und führt diese soweit immer möglich im bewohnten Zustand aus, was ihr Mehraufwand einbringt. Sie vermeidet hohe Mieterwechsel, beseitigt Leerstände und wertet Quartiere auf, zum Beispiel in Langenthal und in Schaffhausen.
Fast verkauft! Endlich unabhängig
Die Fusion mit den Tochterfirmen führt zum Umstand, dass der Bund Hauptaktionärin der Logis Suisse AG wird. Das widerspricht den gesetzlichen Vorgaben. Also prüft man zuerst einen Verkauf der Logis Suisse AG auf dem freien Markt. Nach langen Abklärungen erhält Wohnbaugenossenschaften Schweiz die Chance, einen grossen Teil der Aktien des Bundes zum Nominalwert zu kaufen. Sie gründet die Beteiligungsstiftung Solinvest. Diese und einzelne Baugenossenschaften übernehmen Aktien der Eidgenossenschaft und weitere Aktienpakete. So können die Wohnungen dem gemeinnützigen Wohnungsbau erhalten bleiben. 2009 sind 85 Prozent der Logis-Suisse-Aktien im Besitz von gemeinnützigen Wohnbauträgern. Die Logis Suisse AG profitiert vom anhaltend niedrigen Zinsumfeld. Hypotheken werden amortisiert. Die Eigenkapitalbasis steigt. Die Logis Suisse AG agiert als weitgehend eigenständige Non-Profit-Organisation im stark von Spekulation getriebenen Umfeld. Erstmals seit Langem wird 2009 wieder eine Dividende ausbezahlt.
Die Weichen stehen auf Wachstum: Lagequalität ist alles
Der Verwaltungsrat beschliesst Grundsätze zum Gläubigermix, zu Laufzeiten, Zinssätzen und Sicherheiten, um die Unabhängigkeit zu bewahren. Er gründet einen vierköpfigen Immobilienausschuss zu strategischen Fragen. Jetzt legt die Logis Suisse AG einen Gang zu, mit Schwerpunkt auf die Projektentwicklung grosser Areale. Wenn dann noch ein grosser Bahnhof in der Nähe ist, trifft der Expansionswille auf eine bereits erstklassige Infrastruktur. Der Leitstern: Kooperation mit Baugenossenschaften und Gemeinden, Entwicklung und Transformation von Arealen im eigenen Lead.
Die Logis Suisse AG kauft 2012 mit der Baugenossenschaft Glattal Zürich und der Steiner AG die 41'000 m2 grosse Industriebrache der Glasfabrik Bülach zwischen Bahnhof und Autobahnzufahrt, 2016 das Baufeld E im Entwicklungsgebiet Manegg, Stadt Zürich, und das alte 42'600 m2 umfassende Coop-Verteilzentrum beim Bahnhof Pratteln. 2017 erwirbt die Logis Suisse AG das 36'250 m2 grosse Andritz-Areal (heute Bell-Areal) in Kriens, Kanton Luzern, und lädt in beiden Fällen andere Gemeinnützige zur Kooperation und zur gemeinsamen Arealentwicklung ein. Sie baut die Selbstverwaltung von Nachbarschaft und Gemeinschaftsraum im Römerpark in Oberentfelden auf und weiht dort ihre 161 Wohnungen ein; zuvor sind ihre 73 Wohnungen in Seon bezogen, beide im Aargau. Ihr Interesse gilt Projekten ab 25 Mio. Franken.
Neues Quartierleben aus Vielfalt im klugen Nutzungsmix
Die Logis Suisse AG hat sich bei Baugenossenschaften, Maklern und Generalunternehmen als Projektentwicklerin eingeschrieben. Sie erhält jährlich 200 Kaufangebote und wertet diese nach qualitativen und quantitativen Kriterien aus. Sie tut heute, was das Ziel vor 50 Jahren war: preisgünstigen Wohn- und Lebensraum entwickeln, bauen und erhalten. Sie beteiligt sich 2020 in Köniz bei Bern an der Quartierbebauung Papillon mit dem Projekt Pfyfauter und erfüllt dort die Kriterien eines 2000-Watt-Areals wie auch für ein Plusenergie-Quartier. Über einen Partnerschaftsvertrag übernimmt sie auf dem Brisgi-Areal in Baden den Bau von 82 Wohnungen. In Aarau und in Basel gewinnt sie 2022 je einen grossen Investorenwettbewerb.
Die Logis Suisse AG fördert im attraktiven Mix von Wohnraum mit Spiel- und Erholungsflächen, mit Kindertagesstätten, Gemeinschafts- und Atelierräumen das Nachbarschaftsleben. Bei grossen Arealen liegen Lebensmittelgeschäfte, Restaurants, Sport- sowie Büro- und Gewerbenutzung in Gehdistanz. Einer nur am Gewinn orientierten Verwertung stellt sie ihre Grundhaltung entgegen: soziale, ökologische und architektonische Qualität.
Sie plant mit langem Atem: mindestens 100 neue Wohnungen pro Jahr. Die letzten heute projektierten Wohnungen werden im Jahr 2032 vermietet sein. Für das Leben zwischen Brache und Bezug hat die Logis Suisse AG in Zusammenarbeit mit externen Experten ein profundes Wissen über Chancen und Art von temporären Nutzungen. Ende 2022 hat sie 3'234 Wohnungen. Das sind trotz umfangreicher Verkäufe 400 mehr als 2005, und diese sind in werthaltigem Zustand. Die Logis Suisse AG hält in ihrem umfangreichen Projektportfolio 1'642 Wohnungen in Entwicklung oder im Bau. Im Mix mit Gewerbe- und Büroflächen sind neue Quartiere im Entstehen. Attraktive Teilbereiche wird sie, ganz im Sinne der Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus, örtlich verankerten Genossenschaften zuführen.
Geschäftsbericht 2022
Recherche und Redaktion: Lydia Trüb, Historikerin